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Zeitzeugenberichte
Leben am Neuen Garten

Die junge Frau W. am Uferbereich der Meierei. Von hier aus gelangen mehrere Fluchten (ca. 1964)Die junge Frau W. am Uferbereich der Meierei. Von hier aus gelangen mehrere Fluchten (ca. 1964) - Foto: Privatbesitz

Frau W. (wohnhaft in der Potsdamer Böcklinstraße von 1961 bis heute)

Frau W. war zehn Jahre alt, als sie mit ihrer Familie in die Böcklinstraße zog. Der Arztfamilie mit fünf Kindern wurde das geräumige Einfamilienhaus in der Nähe des Grenzgebiets 1961 zugeteilt. Im Jahr 1962 versuchte ihr 17-jähriger Bruder, über das Gelände der Villa Kampffmeyer in der Nähe der Berliner Straße, nach West-Berlin zu flüchten. Dabei wurde er gefasst und im Stasi-Untersuchungsgefängnis in der Potsdamer Lindenstraße inhaftiert, wo er misshandelt wurde. Frau W. erfuhr wenig von ihm über seine Haft. Richtig verkraftet habe er die Haftzeit jedoch nie.

Frau W. lernte ihren späteren Mann bereits 1968 kennen. In einem Fotoalbum hielt sie die ersten gemeinsamen Jahre fest. Viele der Fotografien wurden im Park Neuer Garten aufgenommen, der an die Berliner Vorstadt angrenzt. Der Park sei immer ein wichtiger Erholungsort gewesen, so Frau W. In ihrer Kindheit war sie oft an der Badestelle an der Landzunge Quapphorn. Im Zuge des Mauerbaus um Berlin wurde ab 1963 der Zugang zum Jungfernsee im Neuen Garten abgeriegelt und ein Beobachtungsturm gebaut. Dafür mussten das Umkleidehaus und die Eremitage, ein 1796 gebauter Pavillon mit einer prächtigen Innenausstattung, weichen. 1966/67 wurde der Grenzstreifen am Quapphorn bis zum Grünen Haus ausgedehnt.

Der Zugang zum Neuen Garten über den Hasengraben war nur noch über eine wenige Meter vor dem Heiligen See liegende provisorische Brücke zu erreichen. Schloss Cecilienhof sowie der restliche Neue Garten blieben für die Öffentlichkeit zugänglich. Die Gedenkstätte samt Hotelanlage Cecilienhof lockte Besucher aus aller Welt an, darunter auch Staatsgäste wie den sowjetischen Partei- und Staatschef Michail Gorbatschow und UN-Generalsekretär Kurt Waldheim. Im Restaurant des Hotels wurden Familienfeiern und Jubiläen ausgerichtet.

Im Hintergrund der privaten Aufnahmen von Frau W. findet sich immer wieder ein Stück des Grenzzaunes wieder. Für die Besucher des Parks war dies Alltag und eine Normalität. Wann der Grenzzaun am Wasser durch eine Mauer ersetzt wurde, lässt sich nicht genau rekonstruieren. Ein Bild aus Frau W.s Fotoalbum, dessen Aufnahmedatum sie auf das Jahr 1965 schätzt, zeigt ihre Freundin auf einem Jägerzaun aus Holz zwischen Alter Meierei und Grotte sitzend.

Frau und Herr W. heirateten 1974 und bekamen zwei Kinder, die in der Böcklinstraße aufwuchsen. Der Babelsberger Herr W. arbeitete als Potsdamer Betriebsleiter im Maschinenbauhandel Berlin und war Mitglied der Blockpartei CDU. Seine Frau war im Klinikum als Radiologiefachassistentin beschäftigt. Das Leben in der Nähe des Grenzgebiets beschreiben sie im Nachhinein als ruhig und »behütet« (wenn auch der Schatten der missglückten Flucht von Frau W.s Bruder blieb).

In unmittelbarer Nähe des Hauses, an der Seestraße, befanden sich die britische und die französische Militärverbindungsmission. Nachts konnte man die gleichmäßigen Geräusche der marschierenden sowjetischen Soldaten hören, die zur Ablöse der Wache durch die Böcklinstraße liefen. Aus Anlass des Geburtstags der Queen oder des französischen Nationalfeiertags wurden in den Militärmissionen große Feste gefeiert, und die Bewohner warfen im Vorbeigehen gern neugierige Blicke auf die glitzernden Kleider der Frauen. Zu solchen Veranstaltungen hatten die Bewohner in der Regel keinen Zugang, es sei denn, sie arbeiteten vor Ort im Service- und Gastronomiebereich.

Ein Hausbuch musste auch Familie W. für ihr Einfamilienhaus führen, welches regelmäßig vom ABV (Abschnittsbevollmächtigten der Volkspolizei) überprüft und abgeglichen wurde.

 

Fotoalbum
Der Neue Garten um 1964

Ihre schönsten Fotos vom Neuen Garten hielt Frau W. in einem selbstgestalteten Fotoalbum fest. Die Aufnahmen sind ca. 1964 entstanden und zeigen, wie rudimentär die Absperrungen im Neuen Garten zu Beginn waren. Kurze Zeit später wurde das Grenzgebiet ausgeweitet und der Zugang zum Wasser bis zum Jahr 1989 abgeriegelt.

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